Malte Rauch und Esther Zeschky porträtieren Frankfurter Bürger_innen. Videoblog, Frankfurt, Nordend, Telefon, Trottoir, Trottoire, Esther Zeschky, Malte Rauch, Blog
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Nachbarn #25: WG Bonameser Straße

Viele Frankfurter sprechen schon in der zweiten Generation vom “Zigeunerlager Bonames” – ohne es wirklich zu kennen.
Wir haben einige Bewohner dieser Wohngemeinschaft als NACHBARN erlebt und waren gerührt und erschüttert über das Schicksal dieser faszinierenden und sehr liebeswerten Zeitgenossen, die bis heute einer Mauer von Vorurteil, Fake News und Unmenschlichkeit – auch der Behörden – gegenüber stehen.

Weiterführende Informationen:

Ein Blick in die Geschichte und Lebenswelt der „Wohngemeinschaft Bonameser Straße“

1953 entstand aufgrund eines Beschlusses der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung das Wohnwagenlager am Bonameser Hang, die heutige „Wohngemeinschaft Bonameser Straße“. Das als Provisorium geplante Gebiet für die im Stadtgebiet stehenden Wohnwagen wurde gegen die Widerstände der Anwohner und der Menschen, die dort zukünftig leben sollten, errichtet. Die „Reisenden“ wie beispielsweise Schausteller, Zirkusangehörige oder Artisten, die ganz korrekt als „ambulante Gewerbetreibende“ zu bezeichnen sind, wären gerne auf ihren seit Generationen genutzten Flächen im Stadtgebiet geblieben. Bereits seit der Reichsgründung nach 1870 wurden „Fahrende“ jedoch ausgegrenzt und diskriminiert. Diese Politik der Ausgrenzung steigerte sich im Nationalsozialismus zu einer Politik der Vernichtung, die für viele Reisende mit dem Transport in ein Konzentrationslager verbunden war.

Zu den ca. 250 Menschen, die in Wohnwagen lebten, gesellten sich aufgrund der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Wohnungen Frankfurter Bürger ohne Obdach. Bald lebten über 1.000 Menschen dort. Im Volksmund hat sich bis heute die Bezeichnung „Zigeunerlager“ für dieses Gelände erhalten. „Zigeunerlager. Die Leute wissen‘s sofort!“ sagt ein Bewohner und erklärt: „Aber es waren ja nie richtige Zigeuner hier.“ Kaum bekannt ist, dass die berühmte Hochseilartistin der „Camilla Mayer-Hochseiltruppe“, Elvira Schmidt, hier zuhause war. Mit ihrer Hochseiltruppe bot sie den Frankfurtern ein unvergessliches Erlebnis auf dem zerbombten Römerberg, als sie in atemberaubender Höhe Kunststücke vorführten. Der Sohn von Elvira Schmidt lebt heute noch dort auf dem Gelände in der Bonameser Straße und wünscht sich dies auch für die nachfolgenden Generationen. Der Auftritt in der Nachkriegszeit diente übrigens den Machern des Tigerpalast Varieté Theaters Frankfurt zur Inspiration für den Hochseillauf auf dem Römerberg zur 1.250-Jahrfeier der Stadt Frankfurt am Main.

Die historische Betrachtung zeigt, dass mit dem Gelände, das zum Stadtteil Eschersheim gehört, ein unbekannter Teil der Frankfurter Geschichte verbunden ist, den es zu entdecken lohnt. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner der Bonameser Straße haben die Frankfurterinnen und Frankfurter schon persönlich kennengelernt: Beim Mandelkauf auf dem Weihnachtsmarkt zum Beispiel oder bei einer Runde auf einem Karussell.

Autorin des Artikels: Dr. Sonja Keil